„Das Leben ist kurz – gönn dir eine Affäre.“ Mit diesem provokativen Slogan wirbt Ashley Madison.
Ashley Madison ist eine Plattform, die sich darauf spezialisiert hat, Menschen zu vernetzen, die in einer Beziehung leben und dennoch einen Seitensprung suchen. Der Service ist nicht kostenlos: Für 59 Euro können Mitglieder zehn bis fünfzehn Personen anschreiben, die ebenfalls nach diskreter Abwechslung suchen. Was für viele moralisch kaum vorstellbar ist, hat sich als äußerst lukratives Geschäftsmodell erwiesen.
Testsieger "Abenteuer"

Th. Schneiter kennt die Plattform wie kaum ein anderer. Seit 2011 arbeitet er für das Unternehmen, das damals gerade begann, in Europa Fuß zu fassen. Ironischerweise wusste er zunächst gar nicht, worauf er sich beworben hatte. Die ausgeschriebene Stelle lautete schlicht „Product-Manager bei einer Online-Unterhaltungsfirma“. Erst im Vorstellungsgespräch wurde klar: Es geht um Ashley Madison – eine Plattform für außereheliche Affären. Der erste Schock wich schnell einer professionellen Neugier. Die Idee, ein so gesellschaftlich aufgeladenes Thema zum Geschäftsmodell zu machen, fand Schneiter spannend.
Privat war er zu jener Zeit verheiratet, heute ist er geschieden. Besonders in seiner katholischen, eher konservativen Familie sorgte sein Job zunächst für Stirnrunzeln. Seiner Großmutter erzählte er lange nicht, was genau er beruflich machte. Als er einmal im Fernsehen über Ashley Madison sprach, lenkte seine Mutter sie vorsorglich vom Bildschirm weg.
Monogamie als gesellschaftliches Konstrukt
Kritik an der Plattform weist Schneiter nicht pauschal zurück, er setzt sich jedoch differenziert damit auseinander. Die Idee der lebenslangen monogamen Beziehung hält er für ein gesellschaftliches Konstrukt – historisch gewachsen, aber biologisch nicht zwingend vorgesehen. Die Evolution zeige, dass nur ein sehr kleiner Teil aller Tierarten monogam lebt. Beim Menschen sei Monogamie vor allem mit Sesshaftigkeit, Besitzsicherung und sozialen Strukturen verbunden. Für manche Menschen könne dieses Modell funktionieren – für viele jedoch nicht.
Häufig, so Schneiter, sind es alltägliche Beziehungsmuster, in denen Bedürfnisse wiederholt geäußert, aber nicht ernst genommen werden. Wenn jemand dann außerhalb der Beziehung Erfüllung sucht, sollte man das nicht vorschnell verurteilen. Vielmehr stelle sich die Frage: Wenn die Beziehung in anderen Bereichen funktioniert – warum alles beenden, nur weil ein Aspekt nicht mehr passt? Trennungen seien oft traumatisch. Das Ideal, dass der Partner oder die Partnerin alle Bedürfnisse erfüllen müsse, sei unrealistisch.
Jeder sollte seine Bedürfnisse leben dürfen“
In einer idealeren Gesellschaft, so Schneiter, wären persönliche Wünsche weniger mit Schuld oder Scham besetzt. Jeder Mensch sollte seine Bedürfnisse leben dürfen – ob sie nun in gängige Beziehungsvorstellungen passen oder nicht.
Die Nutzerzahlen geben ihm recht. Weltweit ist Ashley Madison stark vertreten, besonders in den USA. In Europa liegen Großbritannien, Spanien und Italien an der Spitze. Auch in der Schweiz ist die Plattform erstaunlich beliebt: Der Umsatz dort liegt trotz deutlich geringerer Bevölkerungszahl auf dem Niveau Deutschlands. Überraschend ist dabei die geografische Verteilung: Die meisten Nutzer stammen nicht aus den großen Städten, sondern eher aus kleinen Gemeinden. Schneiter vermutet, dass gerade dort das Bedürfnis nach Diskretion besonders hoch ist – und gleichzeitig die Gefahr, entdeckt zu werden, größer.

Ashley Madison Daten-Leak von 2015
Ein weiteres Thema, das unweigerlich mit Ashley Madison verbunden ist, ist der große Daten-Leak von 2015. Damals wurden Millionen Nutzerdaten veröffentlicht, zahlreiche Affären flogen auf. Der Skandal erschütterte das Vertrauen in die Plattform massiv – und führte zu einem radikalen Umdenken in puncto Datenschutz. Heute, so Schneiter, ist IT-Sicherheit oberste Priorität. Regelmäßige Cybersecurity-Schulungen für Mitarbeitende sind Standard geworden. „Wir wissen, dass wir kein zweites Mal enttäuschen dürfen“, betont er. Der Wiederaufbau des Vertrauens sei gelungen – aber fragil.
Warum gehen Frauen fremd?
Ein weiterer Aspekt, über den Schneiter spricht, ist das Verhalten der Geschlechter auf der Plattform – und wie sehr sich Klischees dabei nicht bestätigen. Die amerikanische Psychologin Alicia Walker hat herausgefunden, dass Frauen bei Affären in erster Linie sexuelle Erfüllung suchen, während Männer eher nach Bestätigung und Anerkennung streben. Auch das räumt mit einem gängigen Vorurteil auf – nämlich, dass Männer hauptsächlich wegen des Sex fremdgehen, Frauen aber nur, wenn die Liebe fehlt.
Gen Z für Ehrlichkeit und neue Beziehungsmuster
Gleichzeitig verändert sich die gesellschaftliche Haltung zu Beziehung und Treue. Die sogenannte Generation Z – junge Erwachsene, die mit dem Internet aufgewachsen sind – stellt traditionelle Beziehungsmodelle zunehmend infrage. Offene Beziehungen oder individuell ausgehandelte Formen des Zusammenlebens sind für viele keine Ausnahme mehr, sondern eine bewusste Entscheidung. Dabei geht es nicht zwangsläufig um Beliebigkeit, sondern um die Bereitschaft, sich selbst und anderen gegenüber ehrlich zu sein.
Ashley Madison profitiert von dieser Entwicklung – und wird gleichzeitig weiterhin kontrovers diskutiert. Während manche die Plattform als moralisch verwerflich verurteilen, sehen andere darin eine pragmatische Lösung für Bedürfnisse, die innerhalb einer festen Partnerschaft nicht erfüllt werden. Klar ist: Fremdgehen verschwindet nicht, nur weil es gesellschaftlich geächtet ist. Die Plattform bietet dafür einen Raum – diskret, digital und kommerziell erfolgreich.
Am Ende bleibt die Entscheidung, ob man so etwas nutzen möchte, jedem selbst überlassen. Doch die Existenz und der Erfolg von Ashley Madison zeigen eines ganz deutlich: Die Realität vieler Beziehungen ist komplexer, als es das klassische Ideal der ewigen Treue glauben machen will.
Fazit
Ob man Ashley Madison als unmoralisch verurteilt oder als pragmatische Antwort auf moderne Beziehungsrealitäten sieht – fest steht: Die Plattform spiegelt eine gesellschaftliche Entwicklung wider, in der Treue, Lust und Bindung neu verhandelt werden. Was früher heimlich geschah, passiert heute mit wenigen Klicks – diskret, digital und mit System. Der Erfolg des Modells zeigt: Der Wunsch nach Nähe, Bestätigung oder einfach nur Abwechslung lässt sich nicht verbieten. Die Frage ist nicht, ob es solche Angebote geben sollte – sondern wie offen unsere Gesellschaft mit menschlichen Bedürfnissen umzugehen bereit ist.
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